Tilo Wachter über seine Musik

In meiner Musik nutze ich das „Neue- Unbekannte“, den noch nicht einzuordnenden Stil der Hang-Musik zusammen mit Gromolo (einer von mir erfundenen Sprache). Der Zuhörer hört, dass er die Sprache nicht verstehen kann, wodurch er „Sprache“ musikalisch hören kann, ohne auf Inhalte achten zu müssen.  Ich suche bewusst assoziative Stimmungen. Bilder, Sprachklänge und Stilistiken, die letztlich doch frei erfunden sind, so dass jeder Zuhörer seine eigenen Erwartungen, momentanen Themen, als Inhalte in diese Musik einfließen lassen kann. Um letztlich dieses Eigene im Zusammenhang der Musik neu erleben zu können. Wesentlich ist für mich, sowohl beim Erarbeiten der Stücke als auch im Konzert, dass ein Gefühl für inneren Raum entsteht. Diesen kann ich dann entsprechend der Bereitschaft des Publikums immer weiter ausweiten. Dieser innere Raum wird von vielen Mensche mit einem eigenen inneren Bilder-Fluss gefüllt. Das Publikum trägt durch seine Offenheit und Konzentration  bei der Erweiterung dieses Raumes  zur Intensität des Konzerts bei.

Nach meiner Erfahrung braucht es eine Vertrauensbasis, das Publikum soll sich sicher fühlen; erst dann kann ich es weiter und in größere Räume begleiten.  Ich nutze Humor in Ansagen und Liedtexten, vertraute „harmonische Floskeln“, perkussiv, schnelle Passagen und auch Virtuosität. Diese holen uns aus dem unbewussten Träumen zurück und bringen Wachheit, Dringlichkeit, Präzision, Entschiedenheit. In diesem Dialog entsteht eine bewusste und aktive Hörhaltung. Eine feine Balance: Ich versuche Stücke und damit die inneren Räume nur so weit „zu öffnen“, wie ich sie mit meiner momentanen Kraft für Intensität und Gefühle überhaupt verantwortlich tragen kann. Ich brauche dazu einerseits das Vertrauen, dass das Stück mich trägt und ich „frei“ den Weg, den das  Stück beschreibt, jedes Mal aufs Neue authentisch gehen kann. Andererseits brauche ich dazu die Wachheit für die gesamte Konzertsituation: Ich versuche meinen KörperRaum mit Klängen zu füllen, dann den KonzertRaum, um schließlich einen Raum, der das ganze Gebäude umgibt, zu füllen und von weit oben zu sehen. Manchmal gelingt es sogar, die größere Landschaft, in der das Gebäude liegt, mit diesem „Gefühl“ zu füllen und zu sehen. Wenn es die Bereitschaft des Publikum erlaubt, spiele ich sogar andere Bilder auf diese Weise ein: Bilder von vorangegangenen Konzerten und auch Landschaften -außerhalb von Konzerten- in denen ich mich gerne aufhalte. Bis hin zu inneren Bildern, die mir beim Spielen immer wieder auftauchen, z.B. eine Völkerwanderung aus der Vogelperspektive. Wenn mir dieses Gleichgewicht zwischen eigener Konzentration und der Offenheit und Konzentration des Publikums gelingt (eine Hingabe mit gleichzeitig großer Präsenz für entschiedenes Eingreifen), erlebe ich ein tiefes Glücksgefühl. Eine alles erfüllende, große Bewegung. Ich kenne nichts vergleichbar Schönes. Wenn es in diesem Zusammenspiel mit dem Publikum schließlich noch gelingt, die Zuhörer wieder sicher und „eigenverantwortlich“ auf ihre Plätze im KonzertSaal zurückzusetzen, bin ich so sehr berührt, dass ich oft mit Tränen kämpfe. Die Verbindung von „Alltagsbewusstsein“ mit diesen Erkundungen innerer Landschaften ist mein größter Antrieb in der Musik.

Jedes Stück eröffnet einen anderen „kleinen Teil“ dieser großen inneren Landschaften. Ich nutze die Unterschiedlichkeit der Stücke wie unterschiedliche Türen. Je nach eigener Biographie haben wir für manche Türen eine Vorliebe, gegenüber anderen wiederum Vorbehalte. Ich versuche die Menschen da abzuholen, wo sie stehen: Mit Rhythmen, Virtuosität, Klangfülle, Reduktion oder Stille. Schließlich führen alle diese „Türen“ in denselben großen Raum. Ich wünsche mir,  dass die Zuhörer erleben, wie auch hinter den Türen, denen sie zuerst vielleicht kritisch oder gar ängstlich gegenüber standen (z.B. Einfachheit oder  Stille, Virtuosität, simple Technik, unbekannte Sprachen/ Stilistik, Rhythmen, starke Emotionalität…), etwas steht, das sie begeistert, was sie erfüllen und nähren kann. Im besten Fall, dass sie erleben, wie all die vielen Aspekte der Musik nur Teile sind, die, mit den jeweils anderen Teilen in Verbindung gebracht, eine eigene innere Beweglichkeit ermöglichen. Dass Vorurteile, Erwartungen und Ängste nur selten pur auftreten und dadurch zwingend zu Ohnmacht führen; sondern, dass sie meist zusammen von vielen anderen Aspekten begleitet, ebenfalls einen grösseren inneren Raum bilden. Innerhalb dessen Präsenz und Handlungsfähigkeit -letztlich eine Freiheit- durchaus möglich ist.

April 2014 (vor Entstehung des Albums "Innenwelten")